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standsekel,  Unternehmerfeindlichkeit  und  Fortschrittsverach-  der  tonangebenden  Deutungselite  widerspricht.)  Das  Problem
         tung geraten ist? Wer über die Ursachen nachdenkt, sollte damit  ist, dass Intellektuelle von Natur aus im Reich der Ideen leben,
         beginnen, sich anzusehen, wer in unserem Land das Sagen hat.  nicht in der Wirklichkeit, sondern in ihrer Vorstellung von der
                                                           Wirklichkeit. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler
                                                           Thomas Sowell beschreibt es so: „Ausgangs- und Endprodukt
         „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es im Grundge-  eines Intellektuellen im engeren Sinn sind Ideen als solche –
         setz. Doch das Volk hat wenig Einfluss auf das konkrete politi-  nicht die praktische Umsetzung von Ideen, wie etwa Ingenieure
         sche Geschehen. Parteien und Lobbyisten, vor allem aber eine  wissenschaftliche Prinzipien zur Schaffung von Gegenständen
         breite Schicht von Intellektuellen, deren ideologische Vorstellun-  oder Mechanismen anwenden. Die Arbeit eines Intellektuellen
         gen den Zeitgeist bestimmen, sitzen an den Schalthebeln des  beginnt und endet mit Ideen, wie einflussreich diese Ideen
         Landes. Eine Flut von Universitätsabgängern vor allem aus dem  auch für konkrete Dinge sein mögen – in den Händen anderer.
         geistes- und gesellschaftspolitischen Umfeld strömt jedes Jahr  Adam Smith hat nie ein Unternehmen geführt und Karl Marx hat
         in verantwortliche politische Funktionen und verbreitet dort die  nie einen Gulag verwaltet.“ Und im Gegensatz zu Ingenieuren
         theoretischen (sprich: ideologischen) Gedankengebäude einer  haften Intellektuelle nicht für den Schaden, den ihre Ideen in der
         elitären, vom Alltagsleben der großen Masse der Bevölkerung  Gesellschaft anrichten.
         abgekoppelten Gruppe. Die Parteien werden vor allem mit Ver-
         tretern eben dieser Intellektuellenklasse bestückt, nach dem
         Motto Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal. Menschen ohne Boden-  Umso leichter fällt es Intellektuellen die Welt zu planen: „Da
         haftung durch Erfahrung im konkreten Berufsleben sagen den  Intellektuelle mit Ideen arbeiten, überschätzen sie oft die Be-
         Leistungsträgern, wo es langgehen soll. Eine platte Elitenschelte  deutung einer bewussten Planung. Sie glauben, dass die Gesell-
         ist damit nicht gemeint. Es geht auch nicht darum, Akademikern  schaft ebenso nach rationalem Design geleitet werden sollte,
         ihre Kompetenz abzusprechen. Aber um eine freie Gesellschaft  wie sie selbst Lösungen für ihre segmentierten intellektuellen
         zu gestalten, ist eine Ausgewogenheit des Kompetenzspektrums  Probleme erarbeiten. Diese Sichtweise führt dazu, dass sie das
         in den Entscheidungspositionen nötig. Kein Fliesenleger würde  Potenzial des freien Marktes unterschätzen, der auf der verteil-
         auf den Gedanken kommen, die politischen Gremien fast kom-  ten Intelligenz und dem verteilten Praxiswissen von Millionen
         plett mit Fliesenlegern zu besetzen und dann den Universitäten  von Menschen beruht und durch Preise koordiniert wird.“ Mit
         vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Aber Universitätsabgän-  anderen Worten: Intellektuelle verstehen nicht, dass der Markt
         ger finden nichts dabei, Fliesenlegern bürokratisch in Geschäfts-  das wichtigste und erfolgreichste Instrument ist, mit dem Men-
         prozesse hineinzureden, von denen sie keine Ahnung haben,  schen von gesellschaftlicher Zusammenarbeit profitieren. Intel-
         ohne dafür zu sorgen, dass zumindest einige Fliesenleger in die  lektuelle unterschätzen also  den  Markt, weil seine chaotische
         entscheidenden Gremien integriert werden.         Funktionsweise im Widerspruch zu ihrer charakteristischen
                                                           Denkweise steht. Hinzu kommt, dass die theoretische „Welter-
                                                           klärung“ an den akademischen Institutionen dazu neigt, wirt-
                                                           schaftliche oder soziale Idealvorstellungen zu produzieren, die in
                                                           der Realität nicht existieren (können), weshalb ständig Probleme
                                                           entdeckt und benannt werden, beispielsweise Ungleichheiten
                                                           und Benachteiligungen. Thomas Sowell: „Viele der sogenannten
                                                           sozialen Probleme sind Unterschiede zwischen den Theorien der
                                                           Intellektuellen und den Realitäten der Welt – Unterschiede, die
                                                           viele Intellektuelle so interpretieren, dass die reale Welt falsch ist
                                                           und geändert werden muss.“



                                                           Jede Ungleichheit wird als Ungerechtigkeit empfunden, weil
                                                           dieser Zusammenhang innerhalb eines Ideengebäudes praktisch
                                                           alternativlos erscheint, in dem alle nicht mit den Idealvorstellun-
                                                           gen akademischer Entwürfe übereinstimmenden gesellschaft-
                                                           lichen Zustände das Ergebnis von finsteren Machtspielen „der
                                                           Reichen“,  „des  Kapitals“  oder  „der  Konzerne“  sind.  In  einer
                                                           allzu akademisch geprägten Gesellschaft vertraut man schein-
                                                           bar einleuchtenden verkürzten Kausalketten, die immer auf das-
                                                           selbe  Lösungsmodell  hinauslaufen:  mehr  staatliche  Kontrolle,
                                                           mehr Klempner-Aktionismus auf wirtschaftlichem und sozialem
         Was also ist das Problem der Überintellektualisierung unserer  Gebiet, weniger individuelle Autonomie, weniger unternehmeri-
         Gesellschaft? In der akademischen Blase besteht schließlich gar  sche Freiheit. Das Ergebnis dieser seit Jahrzehnten ablaufenden
         kein Problem, und die beschriebene Analyse ist purer Populis-  Entwicklung, die Probleme definiert und mit dem Mittel zentraler
         mus: die da unten gegen die da oben. (Populismus ist meistens  Planung zu lösen sucht, kann nirgends auf der Welt nachhaltige
         einfach all das, was dem herrschenden Zeitgeist, und damit  Erfolge vorweisen.

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