Page 9 - 43.Kongress_04.November.2024
P. 9
standsekel, Unternehmerfeindlichkeit und Fortschrittsverach- der tonangebenden Deutungselite widerspricht.) Das Problem
tung geraten ist? Wer über die Ursachen nachdenkt, sollte damit ist, dass Intellektuelle von Natur aus im Reich der Ideen leben,
beginnen, sich anzusehen, wer in unserem Land das Sagen hat. nicht in der Wirklichkeit, sondern in ihrer Vorstellung von der
Wirklichkeit. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler
Thomas Sowell beschreibt es so: „Ausgangs- und Endprodukt
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es im Grundge- eines Intellektuellen im engeren Sinn sind Ideen als solche –
setz. Doch das Volk hat wenig Einfluss auf das konkrete politi- nicht die praktische Umsetzung von Ideen, wie etwa Ingenieure
sche Geschehen. Parteien und Lobbyisten, vor allem aber eine wissenschaftliche Prinzipien zur Schaffung von Gegenständen
breite Schicht von Intellektuellen, deren ideologische Vorstellun- oder Mechanismen anwenden. Die Arbeit eines Intellektuellen
gen den Zeitgeist bestimmen, sitzen an den Schalthebeln des beginnt und endet mit Ideen, wie einflussreich diese Ideen
Landes. Eine Flut von Universitätsabgängern vor allem aus dem auch für konkrete Dinge sein mögen – in den Händen anderer.
geistes- und gesellschaftspolitischen Umfeld strömt jedes Jahr Adam Smith hat nie ein Unternehmen geführt und Karl Marx hat
in verantwortliche politische Funktionen und verbreitet dort die nie einen Gulag verwaltet.“ Und im Gegensatz zu Ingenieuren
theoretischen (sprich: ideologischen) Gedankengebäude einer haften Intellektuelle nicht für den Schaden, den ihre Ideen in der
elitären, vom Alltagsleben der großen Masse der Bevölkerung Gesellschaft anrichten.
abgekoppelten Gruppe. Die Parteien werden vor allem mit Ver-
tretern eben dieser Intellektuellenklasse bestückt, nach dem
Motto Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal. Menschen ohne Boden- Umso leichter fällt es Intellektuellen die Welt zu planen: „Da
haftung durch Erfahrung im konkreten Berufsleben sagen den Intellektuelle mit Ideen arbeiten, überschätzen sie oft die Be-
Leistungsträgern, wo es langgehen soll. Eine platte Elitenschelte deutung einer bewussten Planung. Sie glauben, dass die Gesell-
ist damit nicht gemeint. Es geht auch nicht darum, Akademikern schaft ebenso nach rationalem Design geleitet werden sollte,
ihre Kompetenz abzusprechen. Aber um eine freie Gesellschaft wie sie selbst Lösungen für ihre segmentierten intellektuellen
zu gestalten, ist eine Ausgewogenheit des Kompetenzspektrums Probleme erarbeiten. Diese Sichtweise führt dazu, dass sie das
in den Entscheidungspositionen nötig. Kein Fliesenleger würde Potenzial des freien Marktes unterschätzen, der auf der verteil-
auf den Gedanken kommen, die politischen Gremien fast kom- ten Intelligenz und dem verteilten Praxiswissen von Millionen
plett mit Fliesenlegern zu besetzen und dann den Universitäten von Menschen beruht und durch Preise koordiniert wird.“ Mit
vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Aber Universitätsabgän- anderen Worten: Intellektuelle verstehen nicht, dass der Markt
ger finden nichts dabei, Fliesenlegern bürokratisch in Geschäfts- das wichtigste und erfolgreichste Instrument ist, mit dem Men-
prozesse hineinzureden, von denen sie keine Ahnung haben, schen von gesellschaftlicher Zusammenarbeit profitieren. Intel-
ohne dafür zu sorgen, dass zumindest einige Fliesenleger in die lektuelle unterschätzen also den Markt, weil seine chaotische
entscheidenden Gremien integriert werden. Funktionsweise im Widerspruch zu ihrer charakteristischen
Denkweise steht. Hinzu kommt, dass die theoretische „Welter-
klärung“ an den akademischen Institutionen dazu neigt, wirt-
schaftliche oder soziale Idealvorstellungen zu produzieren, die in
der Realität nicht existieren (können), weshalb ständig Probleme
entdeckt und benannt werden, beispielsweise Ungleichheiten
und Benachteiligungen. Thomas Sowell: „Viele der sogenannten
sozialen Probleme sind Unterschiede zwischen den Theorien der
Intellektuellen und den Realitäten der Welt – Unterschiede, die
viele Intellektuelle so interpretieren, dass die reale Welt falsch ist
und geändert werden muss.“
Jede Ungleichheit wird als Ungerechtigkeit empfunden, weil
dieser Zusammenhang innerhalb eines Ideengebäudes praktisch
alternativlos erscheint, in dem alle nicht mit den Idealvorstellun-
gen akademischer Entwürfe übereinstimmenden gesellschaft-
lichen Zustände das Ergebnis von finsteren Machtspielen „der
Reichen“, „des Kapitals“ oder „der Konzerne“ sind. In einer
allzu akademisch geprägten Gesellschaft vertraut man schein-
bar einleuchtenden verkürzten Kausalketten, die immer auf das-
selbe Lösungsmodell hinauslaufen: mehr staatliche Kontrolle,
mehr Klempner-Aktionismus auf wirtschaftlichem und sozialem
Was also ist das Problem der Überintellektualisierung unserer Gebiet, weniger individuelle Autonomie, weniger unternehmeri-
Gesellschaft? In der akademischen Blase besteht schließlich gar sche Freiheit. Das Ergebnis dieser seit Jahrzehnten ablaufenden
kein Problem, und die beschriebene Analyse ist purer Populis- Entwicklung, die Probleme definiert und mit dem Mittel zentraler
mus: die da unten gegen die da oben. (Populismus ist meistens Planung zu lösen sucht, kann nirgends auf der Welt nachhaltige
einfach all das, was dem herrschenden Zeitgeist, und damit Erfolge vorweisen.
| 9