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„Um das Schlimmste in der Klimakrise zu verhindern, müssen wir eigentlich sofort raus aus dem Wachstum, rein
ins grüne Schrumpfen. Dazu braucht man eine Kriegswirtschaft mit Rationierung und staatlicher Planung. Nach
dem Motto: Wenn das sowieso klar ist, dass durch die Klimakrise irgendwann die Kriegswirtschaft kommt, dann
wäre es ja schlau, sie jetzt schon einzusetzen, damit man geordnet, friedlich, ohne Chaos und vor allen Dingen
rechtzeitig noch aus dem Kapitalismus und dem wirklich schädlichen Wachstum aussteigen kann.“
Ulrike Herrmann
Journalistin und Mitglied der Partei Die Grünen
Ulrike Herrmann ist nicht die Stimme der Mehrheit, aber die jenseits subjektiver Wohlfühlrhetorik? Führen die eingeleiteten
Stimme einer lautstarken und einflussreichen Minderheit, der „Maßnahmen“ tatsächlich zu etwas Vorteilhaftem, Gutem?
Klimakatastrophengemeinde. Und sie spricht mit dankenswer- Wie verhalten sich Risiken und Nebenwirkungen zu erwünsch-
ter Klarheit aus, was zu erwarten ist, falls sich diese Gemeinde ten Wirkungen? Haftet irgendjemand für die Fehler der Exper-
durchsetzt, die die Moral an ihrer Seite glaubt. Ideologisierte ten? Angesichts der ungeheuren wirtschaftlichen Belastungen
Moralvorstellungen sorgen dafür, dass wir in anstrengenden Zei- und Einflussnahmen auf Unternehmen und Bürger ist es schon
ten leben. verblüffend, wie schnell eine Gesellschaft bereit ist, lautstark
vorgebrachten ethischen Maximalforderungen nachzugeben,
ohne wie beim Arztbesuch vor einer Operation eine Zweit-
Soziale Gerechtigkeit, ökologische Transformation, Diversität, meinung einzuholen und Alternativen auszuloten. Es scheint all-
Antirassismus, LGBTQ-Sensibilität, humanitäre Arbeitsbedin- gemeiner Konsens zu sein, dass wir alle genau wissen wovon
gungen, Gesundheitsvorsorge, Klima-, Tier- und Pflanzenwohl, wir reden, insbesondere diejenigen, die die Richtung vorgeben
Datenschutz – die Liste des moralisch Guten, das Wirtschaft und die Marschmusik blasen. „Wir transformieren Europa und
und Gesellschaft herzustellen oder anzustreben haben, ist da- die Welt“, verkündet Annalena Baerbock selbstbewusst, in
mit bei Weitem nicht erschöpft und wächst gefühlt wöchentlich Abwandlung eines Liedes aus schlechteren Zeiten formuliert:
um neue Fremdwörter und Begriffskürzel an. Sie beeinflusst die „Heute transformieren wir Deutschland und morgen die ganze
Wirtschafts- und Technologieentwicklung und die Art wie in Welt.“ Das Sendungsbewusstsein des deutschen Michel scheint
unserer Gesellschaft argumentiert und geurteilt wird. Sie wirkt unausrottbar, und es ist so fehl am Platz wie je zuvor: Wer sich
sich auf die Mikroebene des Umgangs miteinander in Alltag und damit brüstet, dass er die Welt transformiert, selbst aber diese
Arbeitswelt aus und transformiert auf der Makroebene Phäno- Transformation im eigenen Land nur zustande bringt, weil er sich
mene wie Globalisierung oder die Gestaltung der Außen- und Si- auf Nachbarländer stützen kann, die wohlweislich dieser Stra-
cherheitspolitik. Und sie greift tief in das Allerheiligste des freien tegie nicht folgen, ist nicht nur unglaubwürdig, sondern macht
Unternehmertums ein: in die Strukturierung der Geschäfts- sich lächerlich.
modelle und die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Kunden-,
Partner- und Zulieferprozesse organisieren. Außerhalb von dik-
tatorischen Regimen und der Zeit vor der Aufklärung gilt: So viel Unbegreiflich ist und bleibt, warum Wirtschaft und Gesell-
Einmischung war nie. schaft in Deutschland selbst lammfromm einer Marschrichtung
folgen, deren Absurdität ein einziges Beispiel verdeutlicht:
Laut Wirtschaftsminister Habecks Heizungsgesetz werden mit
In aller Begeisterung über die verschiedenen hehren Ziele einem finanziellen Aufwand von rund 1,5 Billionen Euro bis 2030
werden Fragen nach deren tieferer Begründung nur höchst 31 Millionen Tonnen CO eingespart – eine Menge, die China
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ungern gehört und noch seltener ausführlich beantwortet. Was schon heute an einem einzigen Tag produziert und die sich bis
ist eigentlich moralisch gut? Was ist gerecht? Worin besteht das 2030 nochmals spürbar erhöhen wird.
Wohl? Und wie begründet sich eigentlich die Ethik des Zeitgeists
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