Page 11 - 43.Kongress_04.November.2024
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auch auf die Verbraucher zukommen, tragen mitnichten zum Werbeübertreibung, wenn man einmal auf einem Lkw den Slogan
„Klimaschutz“ bei. Ist es eine rechte Verschwörungstheorie, „Ohne uns läuft nichts“ lesen würde, statt „schnell und kosten-
wenn viele Logistiker vermuten, dass es bei der ganzen Aktion günstig“ in allen möglichen Varianten. Ein Imagefi lm für die
CO -Maut in erster Linie um Abzocke (weniger populistisch Logistik sollte Deutschland in einem kompletten achtwöchigen
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ausgedrückt: um eine neue Einkommensquelle für die Staats- Logistikstreik thematisieren. Der Horror, der sich daraus ergibt,
kasse) geht? würde dem Film das Etikett „Für Jugendliche unter 16 Jahren
nicht geeignet“ einbringen …
Die Logistikindustrie ist wie der Rest der Wirtschaft und alle
Häuslebauer des Landes einer regierenden Maschinerie aus- Doch ganz konkret: Warum nicht selbstbewusster auftreten,
gesetzt, die ohne Rücksicht auf Verluste (anderer) eine ideolo- insbesondere gegenüber der Quelle der meisten Grausamkei-
gische Vision durchzusetzen bereit ist. Wirtschaftswissenschaft- ten, denen sich die Logistik ausgesetzt fühlt? Warum nicht den
ler sind sich fast vollzählig in ihrem Entsetzen einig und prophe- Schmusekurs mit der Politik einschränken? Warum nicht die
zeien eine Talfahrt des Standorts Deutschland im Vergleich zu Zusammenarbeit an Bedingungen knüpfen? Statt die Lokal- und
den Konkurrenten auf den Märkten. Regionalpolitiker regelmäßig zum Bändchen-Durchschneiden
bei der Einweihung von Logistikimmobilien einzuladen und
mit Sekt und Häppchen zu verwöhnen: durch „Liebesentzug“
Was also ist zu tun? Eines sollte den Logistikern klar sein: Es demonstrieren, dass ohne Logistik nichts mehr geht im Land –
geht nicht mehr um die eine Erleichterung hier und die andere und dass es inzwischen für die Logistikunternehmen ans Einge-
Subvention dort, mit denen die Politik ihre Frontalangriffe auf machte geht. Gespräche immer wieder nur mit neuen Verspre-
die Wirtschaft „abzufedern“ versucht, mit typisch deutscher chungen und Vertröstungen zu vertagen, darf keine Option mehr
Subventionitis also, mit der sich die Unternehmen bisher immer sein. Die wahren Machtverhältnisse sprechen den aktuellen
wieder ruhigstellen ließen. Mit der Gemütlichkeit des Weiter-so Prozessen Hohn. Die politischen Parteien verhalten sich gegen-
muss es ein Ende haben, wenn die Logistikindustrie ihre perma- über der Logistik wie Karl Valentin, der einem Widersacher wü-
nente Melkkuhfunktion endlich beenden will. Die Logistik muss tend entgegenruft: „Ich bin auf Sie angewiesen, aber Sie nicht
dringend ihre Sichtbarkeit im Einklang mit ihrer Bedeutung als auf mich! Merken Sie sich das!“
drittgrößter Wirtschaftssektor Deutschlands erhöhen. Nur wie?
Für den „Marsch in die Institutionen“, um Kompetenz in die
Regierungsarbeit zu bringen, bleibt keine Zeit. Es geht hierbei nicht um plumpe Muskelspiele. Aber es geht
darum, endlich unmissverständliche Signale zu setzen und
im Kopf zu behalten, wer in der Realität die Macht hat und in
Zunächst ist es immer wieder verblüffend, wie wirkungslos die welchen Abgrund uns die Politik zu führen droht, wenn die
Lobbyarbeit der Logistikindustrie im Vergleich mit den lautstar- Betroffenen nicht dagegenhalten. Dazu sind allerdings eine
ken Trommlern etwa von Automobil-, Maschinenbau- oder Che- solidarische Haltung und enge Kooperation der Unternehmen
mie- und Pharmaindustrie ist. Fast scheint es, als ob sich die nötig. Immerhin: Dies hat die Logistikindustrie selbst in der
Logistik, ständig mit schlechtem Gewissen belastet, sich für ihre Hand. Welche Optionen und Alternativen denkbar sind, wird
eigene Existenz zu entschuldigen sucht – angesichts des schlech- eine der Hauptthemen der Diskussionen und Talkrunden auf dem
ten Images nicht gänzlich unverständlich. Es fehlt ganz offen- Kongress in München sein, auf dem darüber hinausgehend die
sichtlich an durchschlagskräftigen Lobbyismus-Strukturen, die prekäre Situation unseres demokratischen Systems mit bedenk-
Öffentlichkeit und Politik daran erinnern, wer für das Funktio- lichen Einschränkungen von Freiheit und Autonomie im Mittel-
nieren unseres Alltags und die Sicherung des Exportpotenzials punkt stehen wird.
der deutschen Wirtschaft verantwortlich ist. Es wäre keine
Deutschland im Logistik-Streik
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