Page 5 - 41.Kongress_06.November.2023
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Es ist nicht so, dass die deutschen Unternehmen die Zeichen der Mit der rettenden Kavallerie von außen, die im richtigen Moment
Zeit nicht verstanden hätten. Und der Rückstand bei der digitalen über den Hügel gestürmt kommt, wird es aller Voraussicht nach
Wirtschaft ist nicht oder zumindest nicht vorrangig der Trägheit nichts werden. Die Frage für die Unternehmen muss also lauten:
deutscher Manager zuzuschreiben. Kostendruck, knappe Finanz- Wie können wir weitgehend eigenständig unseren Weg in den
mittel und Bürokratisierung verhindern mutige Schritte in die künftigen Erfolg suchen und finden? Zur Beantwortung dieser
digitale Zukunft, die längst Gegenwart sein könnte und sollte. Frage ist es zunächst einmal hilfreich, einen Überblick über die
Was den Unternehmen täglich schon ohne Kriege, Pandemie und verschiedenen denkbaren Möglichkeiten zur Wirtschaftsent-
Krisen aller Art zugemutet wird, erfordert Kreativität und Durch- wicklung (jenseits von apokalyptischer Schwarzmalerei oder
haltevermögen. Die Alltagsrealität in deutschen mittelständi- gefälliger Schönfärberei) zu gewinnen und anschließend die
schen Unternehmen lässt sich mit den Worten des Geschäftsfüh- Bedingungen zu erforschen, unter denen die deutschen Unterneh-
rers einer Leipziger Firma der Immobilienbranche dokumentieren, men im Allgemeinen und die der Logistikindustrie im Besonderen
der die Früchte der Digitalisierung gar nicht ernten kann, weil am erfolgreichsten in die Zukunft gehen können. Hierzu soll der
sie ständig vom Staat weggepflückt werden. Er berichtet, dass aktuelle Kongress die entsprechenden Grundlagen erarbeiten.
er durch die Investition in eine digitale Archivierungslösung
20 Prozent der im Betrieb anfallenden Druckkosten einsparen
konnte, fügt aber hinzu: „Einfach formuliert: Alle durch Prozess-
optimierungen freigewordenen Kapazitäten wurden und wer- Vier Parallelwelten
den seit Jahren durch neue Pflichtaufgaben des Gesetzgebers
kompensiert.“ Da bekommen die Offensiven, Initiativen, Gipfel der
und Roundtables der verschiedenen Bundesregierungen zum
Thema Digitalisierung gleich eine ganz neue Bedeutung. Ähn- deutschen Wirtschaft
lich alarmierend und verstörend: Die hoch (eigen)gelobte For-
schungsförderung durch staatliche Stellen wird bisher von den
Unternehmen äußerst zögerlich abgerufen, weil offenbar die
Antragsformalitäten viel zu kompliziert gestaltet sind. Zahlreiche Technologie, Politik und gesellschaftlicher Wandel – diese drei
Unternehmen etwa der Pharma-, Chemie- und IT-Branchen Hauptfaktoren, die untereinander zu einem unauflöslichen Netz
haben ihre Forschungsabteilungen bereits ins Ausland (vor allem aus Ursache-Wirkungs-Ketten verwoben sind, bestimmen über
in die USA und nach China) verlegt, weitere werden folgen. das weitere Schicksal der deutschen Wirtschaft und über den
Wohlstand der deutschen Gesellschaft. Dabei geht es nicht mehr
darum, ob Deutschland international um einen oder zwei Plätze
Die verschiedenen Krisen haben der deutschen Wirtschaft zwar zurückfällt (was durch das starke Wachstum von Schwellen-
eine Fülle von kurzfristig wirkenden Hilfsprogrammen beschert. ländern wie Indien ohnehin vorprogrammiert ist), sondern
Die Parteien lassen sich als Retter in schlimmen Zeiten feiern. Als schlicht darum, ob das Land in der Gruppe führender Wirt-
solide Wachstumsbasis für die Zukunft – und ohne Wachstum schaftsnationen verbleibt oder in die Zweitklassigkeit abrutscht.
sind die Mittel für die gesellschaftsweiten Großaufgaben nicht Es geht ums Eingemachte, sozusagen um die Wurst.
zu erwirtschaften – taugen Finanzspritzen und x-fach-Wummse
nicht. Fachleute fordern fast unisono eine spürbare Senkung der
Unternehmenssteuern und einen wirksamen Bürokratieabbau. Mit welchen Entwicklungen müssen wir also rechnen? Welche
Beides ist weit und breit nirgends zu sehen. Eine klare Perspek- Trends zeichnen sich ab, welche Wahrscheinlichkeiten ergeben
tive, eine Vision für die Ausrichtung der Wirtschaft, ein Plan, sich für die vorstellbaren Zukunftswege? Angesichts der stän-
der plausibel macht, woher das Wachstum in Deutschland in der digen Überraschungen durch neue Krisensituationen, die die
Zukunft kommen kann, ist weder auf Seiten der Wirtschafts- letzten Jahre geprägt haben, ist es eine schwierige Aufgabe,
verbände noch auf Seiten der politischen Parteien erkennbar. verlässliche Aussagen zu treffen, „wie es weitergeht“. Dennoch
ist es für die Unternehmen wichtig, sich bestimmte Szenarien
ansehen zu können, um selbst eine Perspektive auf die kommen-
den Entwicklungen, Aufgaben und Anforderungen erarbeiten zu
können.
In diesem Zusammenhang ist als Diskussionsgrundlage eine um-
fassende Studie des Wirtschaftsprüfungs- und Analystenhauses
Deloitte von großem Interesse, die sich mit vier möglichen Zu-
kunftsszenarien für die deutsche Wirtschaft beschäftigt. Dabei
ermittelten die Analysten anhand einer ganzheitlichen Betrach-
tung die Trends, Chancen und Risiken, die den deutschen Unter-
nehmen in den Jahren bis 2030 begegnen könnten. Federführend
für die Analyse war das Monitor Deloitte Center of Excellence für
Szenariodesign (Center for the Long View).
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