Page 3 - 35. Kongress des Club Of Logistics
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Die Corona-Pandemie als Weckruf für eine träge
Wirtschaft und Gesellschaft
Vielleicht werden künftige Generationen unsere Zeit Insbesondere in Deutschland, wo – der international
als das „Zeitalter der Aufgeregtheit“ charakterisieren, in allen Sprachen adaptierte Begriff „Angst“ macht es
als Zeit perma-nenten Hyperventilierens. Ausgerechnet deutlich – das Wort Krise zu jeder Zeit eine weitere Ge-
heute, wo alle relevan-ten Kenngrößen menschlicher legenheit darstellt, Ängste zu verbreiten, werden die fünf
Entwicklung auf globaler Ebene einen bisherigen Höchst- Buchstaben ausschließlich negativ gesehen. Krisen sind
stand hinsichtlich Wohlstand und Wohlergehen markie- stets etwas Fürchterliches, das es um jeden Preis zu ver-
ren, scheint es beim Betrachten des medialen Gewitters, meiden gilt. In einer Gesellschaft, die bereits das Risiko
als ob die Gegenwart nur noch eine nicht enden wollen- eines Risikos eines Risikos zu verhindern sucht, muss ein
de Abfolge von Krisen sei. Finanzkrise, Wirtschaftskrise, krisenhafter Zustand unerträglich sein.
Nahostkrise, Ölkrise, Krise des Sozialsystems, Klimakrise
und jetzt Coronakrise – statt Erfolgsgeschichten stehen Doch was ist eine Krise eigentlich? Letztlich verstehen
Krisen auf den Wegmarken der Zeitgeschichte. „Ich finde, wir darunter eine Zwangslage, die mit den eingefahrenen
‚Krise’ ist geradezu zum Lieblingswort der Zeit geworden. Maß-stäben und Handlungsinstrumenten nicht kontrol-
Es wird gebraucht wie die Hostie einer Pseudoreligion.“, lierbar ist. Eine solche Situation enthält unweigerlich Risi-
bringt Ex-Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ken, die Ängste vor Absturz und endgültigem Verderben
Norbert Blüm (CDU) dieses Phänomen auf den Punkt. wecken können. Sie erzwingt Umdenken, die Entwicklung
von neuen Handlungs-optionen und durchgreifende Ver-
In der Tat: Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass änderungen in entscheidenden Sektoren. Die Möglich-
im Jahr 2020 zwei Krisen gleichzeitig um Aufmerksamkeit keit zu scheitern, etwas „falsch zu machen“, ist dabei un-
buhlen: die Pandemie-Krise und die Klimakrise, wobei vermeidlich. Ein Scheitern verlängert und verschärft eine
in den letzten Monaten die Corona-Pandemie eindeutig Krise, und dieser Zyklus setzt sich fort, bis aus einer Kette
die Oberhand be-kam – weil sie schlicht für jedermann von Versuch und Irrtum ein Weg aus der Zwangslage ge-
spürbar in das Leben eingriff, während die Klimakrise sich funden ist. Der Begriff Krise impliziert also keineswegs
nach wie vor ausschließlich in unseren Köpfen abspielt. einen negativen Ausgang, sondern macht deutlich,
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