Page 9 - 35. Kongress des Club Of Logistics
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Diese und viele weitere Fragen zu den Folgen der Coro-  Dies gilt weit über den Handel hinaus auch für die Ge-
          na-Pande-mie  beschäftigen  Wirtschaftswissenschaftler  samtheit  der  weltweiten  Supply  Chains.  Sie  wurden  in
          und Politiker seit Monaten. Definitive Antworten lassen  den letzten Jahrzehnten zu einer kaum noch steigerba-
          sich dazu noch nicht geben. Sie hängen davon ab, wie  ren Effizienz getrimmt, unter Vermeidung von Lagerka-
          die  unterschiedlichen  Nationen  und  Regionen  mit  den  pazitätsüberschüssen  und  suboptimalen  Auslastungen
          Folgen der Krise umgehen und welche neuen Stabilitäts-  der Verkehrsträger. Dass dies reibungslos und dauerhaft
          gleichgewichte sich am Ende einstellen.             funktionieren kann, hängt davon ab, dass sich keine allzu
                                                              gravierenden Störungen ergeben, weder durch Naturka-
          Die  Krise  hat  allerdings  Empfindlichkeiten  der  Supply-  tastrophen  noch  Pandemien  noch  po-litischen  Umbrü-
          Chain-Philosphie  und -struktur  offengelegt.  So  ist  die  chen in entscheidenden  Knotenpunkten der Handels-
          für  das  Industrie  4.0-Zeitalter  besonders  wichtige  Just-  ströme.
          in-time-Belieferung  äußerst  störungsanfällig  gegenüber
          großflächigen  und  längerfristigen  Unterbrechungen.  Wird die Krise also über die Lieferketten die Globalisie-
          Dies zeigte sich am Anfang der Corona-Krise auch beim  rung insgesamt zum Erliegen bringen? Immerhin mahnte
          Zusammenspiel von Handel und Logistik: Die Lager des  bereits vor Jahren der britische Wirtschaftswissenschaft-
          Einzelhandels  sind  inzwischen  volumenminimiert,  was  ler Ian Goldin:„Die Globalisierung hat immens viel Gutes
          zu der flapsigen Aussage führt, die Straße sei das eigent-  bewirkt.  Aber  sie  birgt  systemische  Risiken,  mit  denen
          liche Lager. Allein durch die Kontaktbeschränkungen - in  wir bisher nicht umgehen können.“ Niemand kann dies
          jeder Pandemiekrise wohl unvermeidlich - ergeben sich  wollen oder auch nur für möglich halten. Zwar werden
          Störungen, die vor den Lagerhäusern der Handelsketten  die  Handelsstrategen  künftig  vielleicht  mehr  nach  re-
          zu  langen  Lkw-Staus  führen,  weil  Lagerarbeiter  fehlen,  gionalen  und  nationalen  Absicherungslösungen  suchen
          Lkw-Fahrer  aber  das  Lager  nicht  betreten  können.  Da  (beispielsweise bei der Entwicklung und Produktion me-
          die perfekt organisierte Lieferkette aus dem Takt geraten  dizinischen und pharmazeutischen Materials) und dabei
          ist, funktioniert auch das Aufnehmen von Rückladungen  marktnähere Produktion und Lagerung unterstützen. So
          nicht mehr. An diesem Beispiel lässt sich bereits erken-  ist durchaus vorstellbar, dass die Produktion vieler Pro-
          nen, dass unsere Wunderwerke der Liefer- und Lageror-  dukte wieder ganz oder teilweise nach Deutschland zu-
          ganisation von einer „Schönwetterwelt“ ausgehen. Star-  rückverlagert wird
          ke Erschütterungen verträgt das System dagegen nicht.

















































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